Die Situation der Migranten in den Vereinigten Staaten

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Ich bin gebeten worden, über mir bekannte Menschen zu berichten, die von ihren Familien getrennt leben wegen der augenblicklichen (April 2013) Einwanderungspraktiken in den USA. Das Problem wird am deutlichsten, wenn ich über betroffene Menschen und einige allgemeine Schwierigkeiten berichte.

Conrado

Conrado ist der Ehemann einer unserer Katechetinnen und ein Kommunionhelfer. Eines Abends kam er spät nach Hause von einer seiner beiden Arbeitsstellen, die er im Restaurantgewerbe angenommen hatte, um für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen. Ein Polizist hielt ihn an, weil er eine kleine Verkehrsregel verletzt hatte. Da er keine Sozialversicherungsnummer hatte, konnte er keinen Führerschein machen. Als der Polizist das merkte, schickte er ihn ins Gefängnis, da er ohne Führerschein gefahren war. Auf der Polizeistation wurde die Einwanderungsbehörde gerufen und Freilassung gegen Kaution war nicht möglich. Ich besuchte ihn einmal, bevor er abgeschoben wurde und der arme Mann weinte bei dem Gedanken, dass er seine geliebte Familie nicht, oder zumindest lange nicht, wiedersehen werde. Das Verfahren wegen des Verkehrsdeliktes entfiel und ohne dass seine Familie die Möglichkeit hatte, ihn noch einmal zu sehen, wurde er in das Boone County Gefängnis in Nord-Kentucky gebracht, das zu der Zeit das Gefängnis der Einwanderungsbehörde war. Da es sehr gut möglich war, dass man ihn nach Mexiko zurückschicken würde, schickte ich einen guten Bekannten von mir, einen pensionierten Anwalt für Strafsachen, der ihn eine Handlungsvollmacht unterschreiben ließ, die seiner Frau alle Erziehungsrechte der Kinder gab. Damit konnten sie Reisepässe bekommen, um das Land zu verlassen, falls der Vater zurückgeschickt würde. Nach seinem Treffen mit Conrado rief der Anwalt mich an und sagte mir, dass er in seinem Leben viele Straftäter angetroffen habe, aber dass es keinen Grund gebe, jemanden wie Conrado ins Gefängnis zu schicken. Er sei ein freundlicher, kultivierter und sehr dankbarer Mann.

Inzwischen war seine Frau zu Hause sehr aufgebracht und wir wussten nicht, was wir den Kindern sagen sollten. Ich glaube, weder Conrado noch seine Frau möchten, dass sie von ihrem Vater im Gefängnis erfuhren. Daher sagten wir einfach, dass ihr Vater in Mexiko sei. Conrados Vater war krank und daher sagten wir, Conrado besuche seinen Vater.

Schwester Heleen, die mit mir zusammenarbeitet, hatte Conrados Sohn zu der Zeit im Erstkommunionunterricht. Sie sagte, es sei unglaublich, wie der Junge sich verändert habe. Früher lächelte er immer und war fröhlich. Seit sein Vater nicht mehr da war, zog er sich zurück und lebte in seiner eigenen Welt. In dem Jahr ging er nicht zur Erstkommunion und nahm erst im folgenden Jahr wieder am Unterricht teil.

Aber Conrado hatte eine Handlungsmöglichkeit, um die Ausweisung zu verhindern: er konnte das tun, was man „Streichung der Ausweisung” nennt. Man muss beweisen, dass man seit zehn oder mehr Jahren hier lebt, dass man ein Kind hat, das hier geboren ist, das man Steuern bezahlt und kein größeres Strafverfahren gehabt hat. Dies erfordert die Hilfe eines Juristen. Da Conrado alle diese Bedingungen erfüllte, konnte er für $8000 einen Anwalt für Einwanderungsangelegenheiten bekommen. Er musste außerdem wenigsten $1500 Kaution hinterlassen, falls die Einwanderungsbehörde entscheidet, eine Kautionsurkunde zu gewähren. Es ist sehr schwer, hier erfolgreich zu sein, weil man beweisen muss, dass ein Leben ohne Vater eine „extreme Not” bedeutet. Ich war bei einem Einwanderungsverfahren dabei, in dem der Anwalt sagte, dass es zwar schwierig für die Söhne sei, ohne ihren Vater zu leben, dass es aber nicht eine außergewöhnliche oder extreme Notsituation sei!

Conrados Fall ist nach fast 5 Jahren immer noch nicht gelöst. Nachdem die Einwanderungsbehörde ihre Gerichte in Cincinnati geschlossen und alle Fälle nach Cleveland geschickt hat, wollte der Anwalt in Cincinnati sich nicht länger mit diesem Fall beschäftigen und übertrug ihn einem Anwalt in Cleveland. Jetzt verlangt der neue Anwalt weitere Tausende von Dollars und schob den Fall auf, bis die Familie alles Geld bezahlt hat. Ein Gerichtsverfahren ist für den kommenden Oktober vorgesehen. Betet bitte!
Mary Heleen

Paco

Ein weiteres Beispiel ist Paco, ein Mitglied der Pfarrgemeinde. Paco ist bekannt dafür, dass er Speisen vorbereitet und sie dann zum Kauf anbietet, um der Kirche zu helfen. Er wurde festgenommen, weil sein Nummernschild nicht beleuchtet war. Seine Frau, eine andere unserer Katechetinnen, kam schluchzend in unser Büro, um uns zu sagen, dass Paco festgenommen wurde. Sie ist sehr charismatisch und hatte ihre Bibel bei sich. Sie sagte, Gott werde eine Trennung nicht zulassen, denn der Mensch kann nicht trennen, was Gott verbunden hat. Wir haben versucht, einen Sinn im Leid dieses Mannes zu finden und wurden dabei beide vom Buch Hiob angezogen. Es gab uns keine andere Antwort als dass wir Gott vertrauen müssen, weil Leid ein Geheimnis ist. Fünf Tage nach Pacos Festnahme war Palmsonntag und er hatte ein Soldat in unserem lebendigen Kreuzweg sein sollen. Doch jetzt war sein Kreuzweg realistischer. Mari, seine Frau, hatte in dem Jahr die Rolle von Maria. Zu ihrer Rolle gehört ein Monolog, in dem sie zu Jesus spricht, dessen Leichnam auf ihrem Schoß liegt und sie schreit: „Warum haben sie dir dies angetan? Du hast keinem etwas zuleide getan ….“ In dem Jahr blieb kein Auge trocken!
Nach Jahren hat diese Familie nun dem Anwalt das letzte Geld bezahlt. Er hat den Fall tatsächlich für sie gewonnen. Die beiden Söhne mussten zu einem Berater gehen, der dem Juristen empfohlen hat, die Familie nicht nach Mexiko zurückzuschicken.
Diese Familien hatten wenigstens das Glück, dass sie eine Streichung der Abweisung erreichen konnten, aber viele können dies nicht.

Maria Porfiro

Ich erinnere mich an Maria Porfirio. Sie und ihr Mann, beide Einheimische, hatten zwei kleine Kinder und ein Baby. Er wurde zurückgeschickt, und da er nicht zehn oder mehr Jahre hier war, konnte er nicht einmal versuchen, eine Streichung der Abweisung zu beantragen. Sie hatte keine Arbeit und drei kleine Kinder. Ihr hispanischer Vermieter erlaubte ihr, noch etwa einen Monat zu bleiben. Ich wandte mich an das mexikanische Konsulat, das ihr Geld für den Flug gab, damit die Familie wieder vereint werden konnte. Das Flugzeug startete um 6 Uhr morgens von Cincinnati und ich brachte sie zum Flughafen. Ich begleitete sie bis zum Gate und als sie auf dem Weg ins Flugzeug noch einmal zurückschaute, betete ich, dass der Herr sie beschützen möge, denn sie war noch nie im Flugzeug gewesen, stand unter Schock, sprach nur wenig Englisch und hatte drei kleine Kinder bei sich.

Im Unterschied zu Maria Porfirios Familie beschließen einige Familien, dass die Familie nicht nach Hause zurückkehrt, da die Kinder hier viel bessere Chancen hätten. Z.B. Marta und George, das erste Paar seit meiner Ankunft, das in der Kirche heiratete. Als er zurückgeschickt wurde, nachdem er versucht hatte, die nötigen Papiere zu bekommen, wurde ihm wegen der Grenze von zehn Jahren nicht erlaubt, zurückzukommen. Sie, eine Puertorikanerin, versuchte, in seinem primitiven Dorf zu leben, aber sie konnte es nicht. Sie und das Baby kehrten nach Puerto Riko zurück und die Familie zerfiel.

Allgemeine Schwierigkeiten

Eine Frau, die zu mir kam, war gerade in eine neue Wohnung gezogen und hatte eine Anzahlung gemacht, als ihr Mann festgenommen wurde. Wir gingen zu dem neuen Vermieter. Nachdem er zunächst sagte, es sei sein Prinzip, eine Anzahlung nicht zurückzuerstatten, gab er sie schließlich doch zurück, weil er die Not der Frau verstand und aus Liebe zu Gott. Vor Jahren kamen einige der Ehemänner zurück, um bei ihren Familien zu sein und kamen dann, wenn sie entdeckt wurden, ins Gefängnis, da sie nach der Ausweisung zurückgekommen waren. Im Augenblick ist dies sehr selten, weil es gefährlich und fast unmöglich ist, die Grenze ohne Kontrolle zu überqueren. Ein Vater ist im letzten Jahr getötet worden und ein anderer junger Mann, der versucht hatte, die Grenze zu überqueren, wurde tot gefunden.

Wie in den Geschichten erwähnt, war es 2007 und2008 gängige Praxis und es kommt auch heute noch gelegentlich vor, dass jemand wegen eines Verkehrsdeliktes festgenommen wird. Die Person, die eine Verkehrsregel verletzt hat, meistens hat sie keinen Führerschein, kommt ins Gefängnis und wird dann von der Einwanderungsbehörde in Gewahrsam genommen. Hier in Dayton, Ohio, hat der Polizeipräsident 2009 entschieden, dass dies nicht nur für Einwanderer sondern auch für andere Bewohner von Dayton eine sinnlose Praxis sei. Die Polizei von Dayton verbrachte viel Zeit damit, die Gefängnisse mit Verkehrssündern zu füllen, obwohl solche Fälle eigentlich vor Gericht gelöst werden müssten. Daher entschied der Präsident, dass man im Allgemeinen nicht ins Gefängnis kommt, wenn man das erste Mal ohne Führerschein fährt. Bei der zweiten oder dritten Übertretung liegt es im Ermessen des Polizisten. Dies hat eine unserer Meinung nach übermäßige Strafe für ein verhältnismäßig geringfügiges Delikt sehr reduziert. Die meisten Einwanderer ohne Papiere würden einen Führerschein machen, wenn es möglich wäre, aber im Staat Ohio braucht man für einen Führerschein eine Sozialversicherungsnummer.

Eine der für mich schmerzlichsten Fälle bezüglich der Trennung von Familien ist die einer erwachsenen Tochter von ihrer Mutter. Sie hat alles von ihrer Mutter gelernt – das Sprechen, das Kochen und vielleicht auch, wie man Kinder erzieht. Wegen des Ehemanns der Tochter hat sie sich entschlossen, in die Vereinigten Staaten zu kommen, damit die Familie zusammen sein kann. Aber nun, da sie hier ist, kann sie nicht in ihr Heimatland fliegen und dann in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Sie kann ihre Mutter nicht besuchen.

Wir haben eine Anzahl von Frauen, deren Mütter gestorben sind, die sie seit 8 oder mehr Jahren nicht mehr gesehen haben. Ihr Kummer ist fast untröstlich. In Mexiko ist es Sitte, nach der Beerdigung eines Familienmitgliedes neun Tage lang den Rosenkranz mit der Familie zu beten. Ihnen fehlt diese Verbindung mit der Familie, die zum Trauerprozess dazugehört.

Großfamilien sind in der Tat sehr wichtig, aber manchmal können die Kinder, die für lange Zeit von ihren Großeltern getrennt sind, nicht einmal in der Muttersprache mit ihnen sprechen, da die Kinder Englisch lernen und die Großeltern nur Spanisch sprechen. Ein Mädchen aus Ekuador, z.B., wurde bei den Großeltern in Ekuador gelassen, als die Eltern nach hier kamen, um für die Familie zu sorgen. Schließlich kam sie als Jugendliche in die Vereinigten Staaten, um bei ihren Eltern zu leben, da sie persönliche Schwierigkeiten hatte. Man stelle sich vor, man trifft seine Eltern im Alter von 15 Jahren von Angesicht zu Angesicht und hat sie das letzte Mal im Alter von 5 Jahren gesehen.

Im Allgemeinen haben unsere Jugendlichen große Angst, weil sie wissen, dass ihre Eltern eines Tages vielleicht nicht nach Hause kommen. Aber sie werden auch mit anderen Herausforderungen konfrontiert. Vielen unserer Jugendlichen fehlt die Motivation. Sie sehen die Vereinigten Staaten als ihr Heimatland, da sie sich nicht mehr an den Ort erinnern, wo sie geboren sind. Ein Mädchen war nach Abschluss der höheren Schule sehr enttäuscht, weil sie nicht zum College gehen konnte und weil sie nicht Auto fahren konnte. Sie sagte, sie werde nach Mexiko zurückgehen, um Krankenschwester zu werden. Sie kam nach hier, als sie fünf war. Ich habe ihr gesagt, dass das Mexiko ihrer Vorstellung nicht das Mexiko von heute ist. Und wenn sie erkennen sollte, dass ihr Spanisch nicht gut genug ist und sie ihre Eltern hier sehr vermisst, kann sie nicht zurückkommen. Sie wollte gerade ausreisen, als Präsident Obamas vertagte Maßnahme entschieden wurde. Jetzt ist sie dabei, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen und kann hoffentlich ein zweijähriges College besuchen.

Vor allem die Jugendlichen leiden an Mangel an Motivation und sie haben große Angst. Die Sorge steigt, wenn ein Familienmitglied nicht rechtzeitig nach Hause kommt. Wie der Bischof von Atlanta erklärte, ist Trennung eine tägliche Angst. Außerdem hat die Anpassung an eine andere Kultur emotionale Auswirkungen. Einer von vier oder fünf Einwanderern leidet unter Depressionen aufgrund des Kulturschocks, wegen des fehlenden Familienrückhalts, etc. Viele Frauen geben zu, dass der Stress größer ist. In ihrem Heimatland haben sie normalerweise nicht gearbeitet sondern für den Haushalt gesorgt. Hier wird beides von ihnen erwartet.

Hier in den Vereinigten Staaten haben wir begonnen, von Legalisierung (nicht Amnestie) zu sprechen und wir glauben, dass es vielleicht Hoffnung gibt. Die Betroffenen bekommen vielleicht die Möglichkeit, ein- und auszureisen und Familienangehörige zu besuchen. Jugendliche werden vielleicht ihren anderen Schulkameraden, mit denen sie sich identifizieren, gleichgestellt. Ja, wir dürfen jetzt Träume haben—dass Familien nicht auseinandergerissen werden; aber viel Hoffnung hängt von Menschen guten Willens wie euch ab, die Stimmen der Stimmlosen sein können.

Schwester Maria Francine